Seit einigen Wochen ist Bergsteigen tabu. Ich hatte in meinem Beitrag zum ersten Schwimmbadbesuch berichtet, dass ein überlastungsbedingter Ausfall eines Knies bei meiner Frau uns zu neuen Wegen bezüglich des Ausdauertrainings zwang. Das besteht jetzt fest aus regelmäßigem Schwimmen und Radlfahren. Beides für mich bis vor Kurzem noch völlig undenkbar. Doch seit nunmehr knapp 6 Wochen halten wir das Pensum relativ hoch und durch. Und nun nutze ich die Gelegenheit, mal zu erzählen, was in so kurzer Zeit möglich geworden ist. Ich beginne mit dem Schwimmen. Ich weiß noch, wie ich das erste Mal ins Becken gestiegen bin und zu mir sagte: "Ganz schön weit weg. Der Rand auf der anderen Seite.". Dabei sprechen wir über eine 25m-Bahn! Ich schaffte es zwar, rund einen Kilometer irgendwie zusammen zu bekommen, doch alle 100 Meter musste ich Pause machen und verschnaufen. Immer wieder wechselte ich den Schwimmstil von Kraul auf Brust, da ich Kraul gegen Ende nicht mehr 4 Bahnen am Stück durchhielt. Seit diesem Tag, dem 20. März, sind wir 12 Mal im Becken gewesen und ich legte insgesamt rund 22km zurück. Mit Hilfe meiner Frau, die in Sachen Schwimmtechnik auf Grund ihres Sportstudiums fit ist, einigen YouTube Videos zum Thema Kraulschwimmen sowie natürlich dem Tun konnte ich -wie ich finde- enorme Fortschritte erzielen. Beim Vorletzten Training in den Watzmann-Thermen, wo wir eine ganze Bahn für uns alleine hatten und somit ideale Bedingungen, schwamm ich das erste Mal in meinem Leben über 3 km am Stück. Insgesamt 128 Bahnen. In nur wenig mehr als einer Stunde. Die Erfahrungen sind ähnliche, wie beim Laufen. Die ersten 20 Bahnen sind etwas mühsam, dann beginnt es irgendwie zu fließen. Vorausgesetzt, es sind nicht zu viele Störfaktoren im Becken, wie springende, orientierungslos wirkende Kinder oder -man möge mir Verzeihen- brust- und querschwimmende Omis mit gigantischem Platzbedarf oder männliche Halbaffen, die glauben, sie seihen Johnny Weismüller und alles platt machen, was sich ihnen in den Weg stellt. Falls den noch jemand kennt. Tarzan. 30-iger Jahre des letzten Jahrhunderts. Gegen den Chlorschnupfen, der mich anfangs quälte, hilft eine Nasenklemme für Schwimmer*Innen. Eine hübsche Silikonbademütze rundet das Bild und den Spaß ab. Schwimmen -> Läuft und macht Freude. Insbesondere auch, weil wir es gemeinsam tun können. Genauso, wie das Radfahren. Am 23. März bin ich, sofern ich meinen Erinnerungen trauen kann, das erste Mal im Leben zum Vergnügen Fahrrad gefahren. Knapp 18km auf meiner alten Dame, einem Spezialized Stumpjumper mit Schimano Deore LX mit 21 Gängen. Erworben habe ich das Rad im Frühjahr 1993. Gebraucht habe ich es immer nur, um notwendige Strecken ob zur Schule oder zur Arbeit zurück zu legen. Wenig bis gar nicht aus Freude am Radfahren. So war eben auch meine Einstellung allgemein zum Radfahren nicht die Beste. Doch siehe da, der A... hat zwar ganz schön weh getan, doch die Freude am gemeinsamen Erkunden der Gegend hat deutlich überwogen. Leider zickte mit jeder Tour meine alte Dame mehr rum. Ja, ich habe sie die letzten gut 26 Jahre vernachlässigt. Nie hat sie einen Lappen gesehen oder wurde mal pfleglich behandelt. Und so hatte ich immer wieder mit Kettenabsprüngen, schmutzigen Fingern, schlechten Bremsen zu kämpfen. Nicht zu vergessen, dass ich vor der ersten Tour erstmal beide Schläuche und den hinteren Mantel ersetzen musste. Der war noch der erste. Bis dahin war ich jedoch guter Dinge, dass sie durchhalten würde. Meine Sorge galt dem Neuerwerb und der damit verbundenen Kosten, denn ich kenne mich. Dieses Ereignis wollte ich noch möglichst lange herauszögern. Außerdem läuft immer noch die Pfändung, weil ich bei meiner Scheidung zu lieb war und Habgier keine Grenzen zu kennen scheint. Wie dem auch sei, ich hatte gehofft, es geht noch eine Weile mit dem alten Radl. Dann kommt der Karfreitag. Für alle, die es noch nicht wissen, das ist in Österreich kein Feiertag. Das hatte Folgen. Wir trafen uns mit Freunden zu einer Radtour von Saalfelden am Steinernen Meer nach Zell am See. Alle mit modernen Fahrrädern ausgestattet. Außer mir natürlich. Macht aber nix. Fährt ja. Mithalten war kein Problem. Solange die Kette oben blieb. Ich hatte es natürlich versäumt, mal danach zu schauen und ggfs. nachzustellen. Hätte ich mir nämlich ganz schön die Finger schmutzig gemacht. Außerdem war so ziemlich alles an der alten Dame eingerostet. Ob da überhaupt noch ein Schräubchen zu drehen gewesen wäre, hätte ich in Frage gestellt. Die Bowden-Züge waren auch alle rostig und ich wunderte mich eh, dass da noch keiner gerissen ist. Unser Spezl erzählte derweil von seiner Errungenschaft. Ein Simplon-MTB. Gebraucht gekauft im Radlladen seines Spezls. Der hat's aufbereitet und für einen sehr guten Preis weiterverkauft. Und nachdem mir das zweite oder dritte Mal bergauf die Kette von den halbrund gekratzten Ritzeln runter ist, kam die Frage auf, ob der samstags offen hätte. Da meint unser Spezl, der hätte auch heute auf und der Laden sei im nächsten Dorf, das wir erreichen. Man könne ja mal nachfragen, ob vielleicht was passendes Gebrauchtes da sei oder vielleicht kann man dort einfach mal meine Schaltung nachschauen. Das sei überhaupt kein Umweg. Gesagt, getan. Wie erwähnt, man kann in Österreich an Karfreitag ganz normal einkaufen. Wir sprechen mit dem Chef. Der ist mir gleich sehr angenehm aufgefallen. Später wusste ich auch warum. Er taxierte mich wegen der Rahmengröße und meinte, gebraucht hätte er grad nix in meiner Größe da. Ich fragte, ob er denn meine Schaltung mal anschauen könne. Das gefiel ihm nicht so, denn der Laden war brechend voll. Er stieg trotzdem auf meine alte Dame und prüfte kurz den Blattwechsel. Ging natürlich reibungslos ohne den Druck bergan. Für ein Feintuning hätte er beim besten Willen keine Zeit. Da ich ihm bei der Frage nach einem gebrauchten Rad meinen finanziellen Rahmen nannte, meinte er, warum ich nicht einfach ein neues mitnehme. Meine alte Dame sei wirklich durch und nicht mehr zeitgemäß. Ich erinnerte mich an das Gehubbel bis rauf ins Gehirn bei jedem Feldweg. Stoßdämpfer gab es damals noch nicht. Eigentlich hat er ja recht, dachte ich. Ich hatte sowieso schon ein neues Rad im Auge. Dann fielen mir David Lama und Hansjörg Auer ein, die wenige Tage zuvor in einer Lawine ums Leben kamen. Es gibt keinen Grund, sich mit altem Zeug zu quälen. Morgen kann es vorbei sein und das letzte Hemd hat keine Taschen. Entscheidung: Es wird ein neues Rad werden. Er drückte mir aus einer langen Reihe neuer Modelle eines in die Hand und sagte, fahr mal damit. Schön fand ich es nicht, doch wir sind in der Findungsphase. Wird ja nicht das einzige sein, das er da hat. Ich stieg auf und probierte. Fühlte sich Lichtjahre entfernt von meinem alten Rad an. Ganz schön lässig. Was ich nicht mitbekam: Während ich wegradelte, erkundigte er sich bei meinen Begleiterinnen, ob ich eine Frau sei. Die bejahten das natürlich. Für ihn überhaupt kein Thema. Er wollte nur sicher gehen, dass er im richtigen Pronomen mit mir spricht. Sehr cool von dem Guten. Ich lernte später, dass er seit 10 Jahren eine Radsportlerin mit gleichem Hintergrund in der Kundschaft hat. Anfangs, gab er zu, sei es ihm schwergefallen, doch inzwischen sei das ganz normal. Wie es sich bei weiblicher Kundschaft gehört, war seine nächste Frage, welche Farbe es denn sein dürfe. Er hat wohl schon gemerkt, dass mir schwarz-orange nicht so taugte. Glücklicherweise hatte ich mir dazu beim Stöbern in diversen Online-Fahrradläden schon Gedanken gemacht. So kam meine Antwort prompt: weiß. Etwas femininere Farben in meiner Rahmenhöhe sind praktisch nicht zu bekommen. Er bedeutete mir, ihm zu folgen. Wir gingen zu seinem Bus, mit dem er aus der Mittagspause ins Geschäft kam. Er öffnete die Klappe und deutete hinein. "So etwas in der Art?", fragte er. Ich glaube, ich war sofort verliebt. Noch bevor das Rad aus dem Laderaum war, wusste ich, das ist mein neues Radl. Ein Ghost. Fahrradtechnologie aus Deutschland. Nach einer kurzen Probefahrt war die Sache geritzt. Wir sind nebenbei weiter ins Gespräch zu meiner Person gekommen. Es ist schön, wenn Menschen keine Vorbehalte haben und frei heraus einfach fragen, wenn sie was dazu wissen wollen. Er vermaß mich, während wir quatschten. Am Preis geht auch noch was, meinte er. Und so sind wir in allem einig geworden. Ich bekam ein fertig auf mich eingestelltes Rad, mit dem ich die Radltour unmittelbar fortsetzte. Etwas ungewohnt war lediglich die Schaltung von Sram. Dieser Hersteller verzichtet seit mehreren Jahren auf den vorderen Umwerfer, es gibt also nur ein Zahnrad am Tretlager, und stattet das hintere Ritzelpaket mit bis zu 12 Gängen aus. Das ganze ist inzwischen so ausgefeilt, dass die Schaltbandbreite mit bis zu 500% keine Wünsche offen lässt. Es gibt nur einen Schalthebel. Macht die Sache einfach. Auf der ersten Fahrt lernte ich das trotz anfänglicher Bedenken sehr zu schätzen. Meine alte Dame durfte bis zum nächsten Tag dort im Geschäft bleiben. Ich holte sie samstags ab. Wir verabschiedeten uns mit Handschlag und ich solle einfach reinkommen, wenn irgendetwas sein sollte. Big Time in Maishofen. Falls der geneigte Leser ein Rad braucht. Und so kommt's, dass Radfahren auf einmal Spaß macht und sogar ein wenig mein Ehrgeiz geweckt ist. Ja, der A... tut schlimm weh, doch auch hier bewährt sich das neue Rad. Die Sattelgeometrie sorgt zumindest dafür, dass nicht mehr alles taub wird. Ich hege außerdem die Hoffnung, dass ich bezüglich des Sitzgefühles im Laufe der Zeit toleranter werde. So bin ich nun über 200km gefahren und meine Frau und ich entdecken auf jeder Tour Neues, wo wir laufend nie hingekommen wären. Schwimmen und Radfahren. Alles richtig gemacht. Ich habe wieder Spaß am Ausdauertraining für die Berge.
Milla