top of page

NOVA Hike&Fly Days 2023, 01.-03.09.2023, Brixen, Plose und Umgebung

Vera lernten wir beim Frauenfliegenfest in Lenk vergangenen Herbst kennen. Dass sie auch im Nova Testpiloten-Team ist, war mir gar nicht bewusst und ich habe erstmal gar nicht verstanden, warum sie so viel mit der Organisation der Veranstaltung zu tun hat. Tut der Sache aber keinen Abbruch, dass ich mich sehr über ihre Nachricht freute, dass dieses Testival stattfindet, denn das bedeutete gleichzeitig, wir werden Vera wiedersehen. Es gibt außer dem Fliegen noch ein paar mehr Parallelen zwischen uns, wie z.B. das Bergsteigen, und es steht nach wie vor im Raum, dass wir da was zusammen unternehmen wollen. Vielleicht sogar in Kombination mit dem Fliegen. Das wär‘ echt ein Ding.
Aber von vorne.
Nachdem wir innerhalb von Minuten entschieden hatten, dass wir an dieser Veranstaltung teilnehmen wollen, ging unmittelbar anschließend die Suche nach einer passenden Unterkunft los, denn wir werden da ja nicht alleine sein, first come first serve, und wir begannen mit dem Hotel direkt am Landeplatz. Es dauerte nicht lange bis wir uns wunderten, dass so gar nichts verfügbar ist, weder in besagtem Hotel, noch Ferienwohnungen, die wir sonst bevorzugt nehmen, noch irgendetwas anderes. Selbst der direkte Kontakt mit der Touristinfo änderte daran nichts, doch dort lernten wir, warum das so ist. Ein scheinbar sehr attraktives Radrennen soll zum gleichen Zeitraum im Gsieser Tal stattfinden, was dafür sorgte, dass das gesamte Tal ausgebucht ist. Blöd. Weiter draußen suchen ist nicht sexy, denn jeden Tag ewig weit ins Tal hinter fahren zu müssen, schied für uns aus. Das ist umständlich und raubt kostbare Zeit. Wir geben die Info bezüglich des Radrennens an Vera weiter, denn das gleiche Problem, wie wir, werden andere auch haben.
Kurze Zeit später wird die Veröffentlichung der Veranstaltung geändert, statt ins Gsieser Tal geht’s nun zur Plose, einem feinen Berg und dem gleichnamigen Fluggebiet unmittelbar östlich von Brixen.
Hier werden wir relativ schnell fündig, es wird eine nette kleine FeWo Luftlinie vielleicht 200m vom Landeplatz entfernt, allerdings ohne direkte Verbindung dorthin, da der Hang dazwischen zu steil ist. Macht nix. Ich freue mich drauf, wenngleich das bei diesen Veranstaltungen immer so eine Sache ist. A) weiß Frau nicht, welche Sorten Menschen bei sowas teilnehmen und B) wie viele es werden. In unseren Ausbildungswochen zur A-Lizenz haben wir da sehr häufig ziemlich schlechte Erfahrungen gemacht, doch es gibt einen Unterschied: Wenn’s nicht passt, müssen wir unsere Zeit nicht dort verbringen. Ganz einfach. Ein offener Punkt an so einem festen Termin ist immer auch das Wetter. Wie wir später lernen, ist das schon ein paar Mal vorgekommen, dass abgesagt werden musste, da nicht fliegbar. Wir bleiben optimistisch. Es wird gut.
In der Woche vorher kommt die Meldung von Vera, dass die Veranstaltung stattfindet, was unsere eigene Einschätzung bestätigt, denn all unsere Quellen, insbesondere die BurnAir-App, sagen, dass mindestens freitags und samstags Flugwetter in Südtirol ist. Sonntag muss frau sehen. Yippiieeehhhh… es geht zum Hike&Fly-Testival.

Donnerstags nach der Arbeit starten wir. Unser Vermieter ist informiert, dass es später werden könnte bis wir aufschlagen, was von seiner Seite jedoch kein Thema ist. Wir sollen uns einfach melden, wenn wir die Abfahrt Brixen runter sind, dann ist er pünktlich für die Übergabe an der Wohnung. Es geht die für uns häufig genutzte Route runter über Scharnitz, Seefeld, Zirler Berg, dann auf die Autobahn und den Abzweig zum Brenner hinauf. Weit ist es eigentlich nicht, doch ein großer Teil der Fahrt führt über Land und braucht etwas Zeit. Wir hüpfen über den Brennerpass, im Nu ist die Mautstelle Sterzing da und dann ist Brixen nur noch einen Katzensprung entfernt. Auf der Abfahrt meldet sich Astrid beim Vermieter, der sich total nett anhört. Unser Ziel liegt am nördlichen Ortsrand von St. Andrä am Hang östlich von Brixen, wo wir nach etlichen Kehren etwa 20 Minuten später eintreffen und vom Vermieter super freundlich empfangen werden. Er ist von einem Fest im Dorf schnell rüber gekommen, macht den Papierkram mit uns fertig, zeigt uns die Wohnung und meint, dass wir so ziemlich alles im und am Haus mitbenutzen dürfen, von den Liegestühlen bis zum Pool und dem Bierkühlschrank im Keller. Er gibt uns noch die Info, dass von der Wohnung aus ein Pfad zur Talstation der Seilbahn führt und wir nicht über den etwas umständlichen Weg über die Straßen gehen müssten, sofern wir zu Fuß gehen wollen. Wir tüten noch einen Brötchenservice für die nächsten beiden Tage ein und sind ab da glücklich darüber, ins Bettchen fallen zu dürfen. Der Treffpunkt und die Uhrzeit für den nächsten Morgen sind bereits durchgegeben worden, trödeln is nich.

Am nächsten Morgen steht pünktlich eine Tüte mit Semmeln auf der Terrasse. Hat schonmal funktioniert. Sehr fein. Wir sind früh dran, denn bevor wir zur Talstation aufbrechen, wollen wir uns den Landeplatz erst noch anschauen, so, wie wir das in unserer Ausbildung gelernt haben. Ob wir dort vor dem Starten nochmal vorbeikommen, wissen wir nicht, und so gibt es für uns keine Alternative, um herauszufinden, wo genau er ist, wie er aus der Luft erkannt werden kann und welche Landeregeln und etwaige andere Besonderheiten eventuell gelten. Dass es dort praktisch keine Parkplätze gibt, haben wir bereits herausgefunden und nehmen an, dass wir unser Auto später zu Fuß zurückholen müssen. Bis dahin gehen wir nämlich davon aus, dass wir auf dem offiziellen Landeplatz, den uns auch BurnAir nennt, landen werden. Bisschen sehr hügelig, schmal und nicht besonders lang für meinen Geschmack mit ein paar Bäumen und einem Stück Oberleitung ausgestattet. Mmhhh… taugt mir jetzt nicht so, doch wird schon gehen. Die Straße macht eine ganz markante Kurve, die aus der Luft gut zu sehen sein wird und als Orientierung dient. Gerade als wir uns wieder ins Auto setzen wollen, um zur Talstation aufzubrechen, kommt ein Bauer mit einem kleinen Frontlader mit großem Rundballen darauf ums Eck, biegt quasi in den Landeplatz ein, an den ein kleines Lager für seine Ballen angrenzt und winkt mich zu sich. Wenn wir zum Testival gehören, sollen wir ihm gleich hinterherfahren, wenn er seinen Ballen abgeladen hat, wir würden woanders landen. Er hätte da was vorbereitet und er hieße übrigens Joe. Joe ist nicht nur Bauer, er fliegt auch seit über 30 Jahren Gäste mit seinem Tandem. Witzig. Im Schneckentempo krabbeln wir hinter ihm her ein Stück zurück ins Dorf, biegen in eine kleine Häuseransammlung mit großem Hof ein, nehmen einen kleinen Stich zwischen den Häusern hoch und stehen auf einer riesengroßen, frisch gemähten ebenen Wiese ohne jegliche Hindernisse etwas nördlich der Kirche im Dorf und aus der Luft wohl kaum zu verfehlen, denn sie leuchtet regelrecht. Ja, er hätte extra gestern gemäht, schafft jetzt bloß noch die Ballen weg und dann gehöre der ganze Platz uns. Wohnmobil und Zelten sind erlaubt. Ein paar Bierbänke stehen auch schon da und ein riesiger Windsack zeigt die Landerichtung an. In D oder Ö völlig undenkbar. Ein Bauer gibt freiwillig seine Wiese für 3 Tage her, damit’s die Pilot:innen a bisserl einfacher haben. Und total nett ist Joe auch noch. Er würde später auch noch zum Fliegen gehen. Ich bin beeindruckt.

Dann ist Landen ja geklärt. Auf zur Talstation der Plose-Seilbahn, wo wir die weiteren Teilnehmenden treffen werden und hoffentlich auch Vera. Am Parkplatz angekommen, sind die ersten fliegenden Menschen nicht zu verfehlen mit ihren riesigen Schneckenhäusern an Rucksäcken, doch es sind gar nicht so viele, wie ich befürchtete. In dem Moment, wo wir den Motor abstellen, kommt Vera auch schon vorgefahren und kurz darauf biegt Toni Bender auf den Parkplatz ein. Er hat den Bus voller Testschirme, die die Teilnehmenden vorab für Testflüge bestellten. Falls das jemand der Lesenden noch nicht gesehen hat, Toni war einer der ersten, wenn nicht gar der erste, der die Alpen mit dem Gleitschirm überquerte, worüber es sogar einen Film gibt: Glücklicher Ikarus. Sehenswert, wie ich finde.
Wir begrüßen Vera, ein Jahr haben wir uns nicht gesehen und es gibt ein bisschen was zu besprechen, denn wir wollen zusammen auf Bergtour gehen, doch das ist was für den Abend in der Pizzeria. An diesem Morgen hat sie genug andere Dinge zu erledigen. Die Schirme müssen ausgegeben werden, die Möglichkeiten für den heutigen Tag werden besprochen. Es wurde sogar ein einheimischer Pilot aus dem ortsansässigen Verein gewonnen, der ein wenig den Guide heute macht und der natürlich auch Vorschläge unterbreitet. Am Ende entscheiden sich alle dafür, auf den höchsten Punkt der Plose zu steigen, um nahe der dort befindlichen Berghütte, der Plosehütte auf fast 2500m, zu starten. Und ebenso alle entscheiden sich dazu, nicht direkt die Seilbahn zu nehmen, sondern mit dem öffentlichen Bus, der unmittelbar an diesem Parkplatz startet, bis zum sogenannten Palmschloss zu fahren, von wo aus der Aufstieg etwa 850 Höhenmeter beträgt.
Und so bildet sich eine ganze Traube mit Menschen mit merkwürdigem Gepäck an der Bushaltestelle. Ein kleiner Albtraum für den Busfahrer. Wegen der Übernachtungen im Ort haben Astrid und ich die Fahrt mit dem Bus frei, lieb finde ich aber, dass die Fahrt eh nur 1,20€ kostet, obwohl sie gar nicht so kurz ist. Es dauert eine Weile, bis die etwa 25 Pilot:innen zwischen den anderen Touristen ein Plätzchen im Bus gefunden haben und dann geht die Fahrt los. Unsere Rucksäcke mit dem Flugzeug drin sind auffallend klein im Gegensatz zu allen anderen, worüber ich grad nicht traurig bin. Seit wir auf Leichtgurtzeuge umgestiegen sind und sogar mein größerer Flügel in einen normalen Hochtourenruckrack zusammen mit allem anderen passt, sind wir immer wieder mal auf staunende Augen gestoßen, wenn aus dem kleinen Sackerl plötzlich was zum Fliegen rauskommt. Zumindest bei warmen Temperaturen, geht diese Rechnung auf, wenn nicht zu viel Kleidung zusätzlich eingepackt werden muss.
Wir hatten tatsächlich überlegt, ob wir bei diesem Testival auch mal einen anderen Schirm fliegen wollen, denn es böte sich z.B. die Gelegenheit, einen aus der nächsthöheren Klasse Probe zu fliegen. Der wiegt allerdings in meiner Gewichtsklasse fast das doppelte wie mein Pi3. Und so war ich gleich fertig mit Probefliegen. Klar, ist das ein völlig anderes Ding, dass nicht einfach nur fürs Runterfliegen gemacht ist und wahrscheinlich besser gleitet, doch ich vermisse nichts an meinem jetzigen Modell bei meinem Könnensstand. Damit sind Astrid und ich zwar die Exoten bei dieser Veranstaltung, weil alle anderen natürlich Nova fliegen, aber das ist ja keine Voraussetzung für die Teilnahme und es stört sich auch niemand dran.

Haltestelle Palmschloss. Der bunte Fliegezirkus steigt aus dem Bus aus. Unser ganz lieber Guide für heute, Klaus, ist mit dabei und geht voran, damit alle den richtigen Einstieg in den Anstieg finden. Es ist ein schöner Tag fürs zu Fuß gehen, nicht zu heiß, nicht zu kalt, der Hochtourenrucksack mit dem Flugzeug drin ist um einiges leichter als auf Hochtour, weil das Zeug zwar Volumen hat, aber vergleichsweise wenig Gewicht im Gegensatz zu Seil, Steigeisen, Pickel und Klettermetall. Astrid und ich drängen uns nicht nach vorne, sondern schlendern gemütlich ganz am Ende hinterher, es ist kein Wettrennen und im Moment ist’s noch ziemlich bewölkt weiter oben. Mit dem einen oder der anderen kommen wir ein wenig ins Gespräch, bald bildet sich eine Gruppe heraus, die etwas schneller rauf will und davonzieht. Wir bleiben, wo wir sind, es gibt keinen Grund, sich zu beeilen und es kommen noch zwei Tage, an denen wir höchstwahrscheinlich ebenfalls zu Fuß raufgehen werden. An der Bergstation der Plose-Seilbahn pausieren wir kurz, schnacken mit Ingo, einem Piloten aus Berlin, bevor es weiter bergan hinauf zur Plosehütte geht. Unterwegs machen wir Bekanntschaft mit Harald, Martin, Matthias und Lena, eine der sehr wenigen Frauen in der Gruppe. Es zieht sich etwas, an der Bergstation der Plosebahn hatten wir nicht mal die Hälfte der Höhenmeter, doch Astrid und ich sind zwar nicht die Schnellsten, aber durch die vielen Hochtouren mit deutlich mehr Höhenmetern gut im Training. Gegen Mittag schlagen wir an der Hütte auf, um die herum immer wieder ausgedehnte Wolkenfelder ziehen, was einen sofortigen Start verhindert. Die schnelle Gruppe sah das auch so, denn die haben sich bereits einen großen Tisch auf der Terrasse geschnappt, Essen und Trinken bestellt und sich für das berühmte Parawaiting eingerichtet.
Solange keine Sicht in Flugrichtung gegeben ist, um sicher über alle Seilbahnen zu kommen, bleiben wir, wo wir sind, legen uns trocken, bestellen Kaffee/Cappuccino, schnacken mit Hajo aus dem Ländle, lassen uns von unserem local Guide Klaus erklären, wo wir in welche Richtung starten, wo mit Thermik oder Aufwind gerechnet werden kann und dass es kein Problem ist, über die Bergstation der Plosebahn zu kommen, denn der Landeplatz ist auf der anderen Seite des Berges. Mit dem letzten Schluck Kaffee reißen die Wolken auseinander, der Wind passt einigermaßen, die ganze Gruppe wechselt schlagartig in den Fliegen-wollen-Modus und macht sich auf zum Startplatz. Sehr witzig finde ich, dass sich genau zu dem Zeitpunkt weiter unten plötzlich ein blauer Schirm in der Luft befindet, der wohl in der Nähe der Bergstation gestartet sein muss. Toni Bender. An ihm sind wir vorbeigeschlappt, um zur Plosehütte zu kommen, er hat derweil die Bahn rauf genommen, geht aber nicht gerne zu Fuß. Also ist er dort gestartet, wo wir ihn getroffen hatten. Am Ende des Tages ist es so, dass er derjenige aus der Gruppe ist, der mit viel Abstand am längsten in der Luft blieb, sogar bis zur Plosehütte aufdrehte, dort Top landete und erst sehr spät zum Landeplatz kam und das bei Bedingungen, bei denen fast allen anderen mehr oder weniger „nur“ runterfliegen übrig blieb.
Astrid und ich halten uns am Startplatz erneut im Hintergrund, denn die meisten anderen, das spüre ich deutlich, sind im Flugfieber und wollen endlich raus. Solche Menschen im Nacken zu haben, stresst mich beim Starten. Als fast alle bereits in der Luft sind, zieht Astrid auf, danach mache ich mich auf den Weg. Wie bei anderen bereits beobachtet, geht’s direkt nach dem Abheben ein Stück nach oben, weil es unmittelbar in Startrichtung einige thermische Ablösungen gibt, die von einigen auch ganz gut genutzt werden können. Mir gelingt das noch nicht so gut, besonders, wenn sie klein sind. Bis ich bemerke, was los ist, und mir dann überlege, wie ich drinbleiben kann, falle ich bereits hinten raus. Da braucht’s einfach noch ein bisschen mehr Gespür und Flugerfahrung. Für den Moment bin ich erstmal zufrieden, dass mein Start geklappt hat, denn der Wind war dann doch nicht mehr so optimal, wechselte immer wieder Richtung und Stärke, was meine Startkompetenz einigermaßen forderte. Ab nun liegt mein Augenmerk darauf, dass ich die Bergseite vernünftig wechsele, denn ich bin noch nicht entspannt, wenn Start- und Landeplatz so weit auseinanderliegen und ich möchte auf keinen Fall das Risiko eingehen, den Landeplatz nicht zu erreichen. Ausweichmöglichkeiten gibt es für mich zumindest keine also mache ich keine Experimente. Ich fliege den Grat entlang in Richtung Bergstation der Seilbahn, wo ich den Hüpfer auf die andere Seite machen mag. Auf dem Weg gibt’s einmal ordentlich Aufwind, der aber so krass ist und die Kiste richtig zum Schaukeln bringt, dass ich beschließe, dass ich das nicht möchte und ihm aus dem Weg gehe. Wie Klaus gesagt hat, reicht die Höhe ganz entspannt, um über die Seilbahn zu kommen, ich bin auf der Landeplatzseite des Berges und kann nach ganz kurzer Orientierung diesen auch erkennen. Ab jetzt bin ich etwas entspannter und beginne den Flug zu genießen. Der wird jetzt zwar nicht so lang werden, weil der Hangwind auf dieser Seite nicht so ausgeprägt ist, doch das ist mir völlig Wumpe. Es ist einfach grandios hier zu fliegen. Im Eissack-Tal. Ein erstes Mal.
Wenige Minuten später beginne ich damit, mir Gedanken über meine Landeeinteilung zu machen, denn die Landung kommt unausweichlich näher. Vorgeschrieben ist hier nix, weil es kein offizieller Landeplatz ist, doch die vorherrschenden Bedingungen geben trotzdem ein paar Grundsätze vor, die ich in meiner Unwissenheit ob dessen Vorhandensein leider verpasse und stur den Ideen folge, die ich mir beim Besichtigen gemacht habe und gegen die aus der Luft betrachtet auch erstmal nichts spricht. Dass das ganz und gar nicht so ist, merke ich kurze Zeit später. Ein Stichwort ist der Talwind, der inzwischen ganz gut bläst. Ich weiß zwar, wo der gerade herkommt, aber ich weiß nicht, was er auf Landeplatzniveau bewirkt. Erster Kardinalfehler: Ich komme zu tief aus meinen bergseitigen Positionskreisen. Das ist mir schon häufiger passiert und macht landen wirklich schwierig. Höhe ist endlich. Nächster Fehler: Statt sofort in den Queranflug zu gehen aus Angst die verbleibende Länge der Wiese würde mir nicht reichen, fliege ich mit dem Wind in meinen Gegenanflug. Der Talwind beschleunigt mich auf rund 50km/h und als ich bemerke, dass ich schlagartig weiter an Höhe verliere, ist es bereits zu spät, über eine 180° Kurve direkt in den Endanflug gegen den Talwind zu gehen. Beim Einbiegen 90° in meinen Queranflug schlage ich auf der frisch gemähten Wiese nahezu ungebremst auf. Bongs. Aua. Blöd. Wenigstens hat sich nur meine Seele bei der Aktion weh getan. Der Protektor an meinem Leichtgurtzeug hat seine Arbeit gut getan, das Dyneema-weiße Gurtzeug ist jetzt allerdings grün.
Immerhin ist mir bewusst, was ich alles hätte anders machen müssen und die Beobachtung der anderen Pilot:innen bei ihren Landungen zeigt mir, wie es richtig oder zumindest deutlich besser geht, denn eigentlich ist Landen bei einem laminaren Talwind von etwa 15-20km/h eine wirklich äußerst softe Sache. Wenn Frau sich nicht doof anstellt. Astrid kommt entsprechend gut runter und nutzt diesen Umstand.
Landeplatz. Joe hat weitere Bänke aufgestellt, nach und nach trudeln alle ein, unser Guide Klaus schafft eine Kiste Landebier herbei, Astrid und ich lauschen in der fantastischen Sonne den sehr lehrreichen Gesprächen, lernen weiter neue Menschen kennen. Ein Traum. Unter anderem lerne ich, dass hier eine bergseitige Landevolte nicht geflogen werden sollte, sondern man hält sich genau auf der anderen Seite. Da müsse man zwar mit thermischen Ablösungen rechnen, doch es ist mehr Platz für neue Entscheidungen. Merken. Und Abachtern plus in die Landefläche reindriften statt Landevolte ist bei dem Talwind abgesehen davon eh die bessere Wahl. Astrid und ich beschließen, dass wir heute nicht nochmal fliegen wollen. Wir müssen uns noch was zu futtern besorgen und als sich die Runde am Landeplatz langsam beginnt aufzulösen, gehen wir zu Fuß los zurück zur Talstation, wo das Auto steht, kaufen unterwegs im kleinen Laden im Ort noch was ein und machen es uns in der FeWo gemütlich. Treffpunkt am nächsten Morgen um 8 Uhr soll wieder die Talstation der Seilbahn sein.

Unser Brötchenservice versorgt uns am nächsten Tag wieder pünktlich und weil wir den Landeplatz nicht nochmal besichtigen müssen, bleibt ein kleines Bisschen mehr Zeit fürs gemütliche Frühstück bevor wir uns auf den Weg machen. Es sind heute ein paar mehr Menschen da, aber immer noch moderat. Toni und Vera geben wieder Leihschirme aus. Astrid und ich bleiben bei unserer Entscheidung, weiterhin mit den eigenen Schirmen fliegen zu wollen. Für heute stehen uns Stefan und sein Sohn als einheimische Flieger des örtlichen Vereins zur Verfügung, auch ein ganz liebe Menschen. Die Idee heute lautet, wir steigen auf der gegenüberliegenden Talseite des Eisack auf die Königsangerspitze und fliegen von dort mittels Talsprung zurück nach St. Andrä.
Ui. Das ist weit, denke ich und sofort kommt die Frage, ob Frau das auch mit einem „nicht-streckentauglichen“ Schirm schaffen kann. Die Antwort: Ja, geht entspannt. Mmhh… ich bleibe skeptisch. Start- und Landeplatz liegen etwa 10km auseinander. Ich glaube, die theoretische Gleitzahl meines Pi3 zu kennen, nehme 8 an, ohne es genau zu wissen, was bedeutet, dass es theoretisch möglich ist, mit einem Kilometer Höhe etwa 8km Strecke fliegen zu können, wenn es kein Steigen gibt und keine nennenswerten Irritationen durch andere Phänomene. Also eine relative Höhe von 1000 Höhenmetern genügt nicht, um rüber zu kommen, doch da wir praktisch am Gipfel auf etwas mehr als 2400m starten und der Landeplatz etwas unter 1000m Seehöhe liegt, dürfte es sich gerade so ausgehen. Es sind zwei kleine Shuttlebusse organisiert, so dass wir mit nicht zu vielen PKWs auf die andere Seite fahren müssen. Die Fahrt zieht sich etwas, da wir bis runter nach Brixen, über den Eisack drüber und hinten wieder bis auf knapp 1400m hoch müssen zum Perlunger Hof, an dem wir mit etwa 25 Pilot:innen den Aufstieg starten. Ziel Nummer 1 ist die Radlseehütte auf 2284m, wo eine Einkehr zur Mittagspause möglich ist, bevor es weiter zum Gipfel geht. Für einige Teilnehmende ist diese Tour mit insgesamt etwa 1000 Höhenmetern eine echte Herausforderung, denn nicht wenige sind noch platt vom Aufstieg auf die Plose tags zuvor und/oder schleppen um die 20kg an Gurtzeug, Schirm, Flugelektronik, etc. den Berg rauf oder sind sowieso nicht so die Fußgänger unter den Fliegenden. Dazu scheint schön die Sonne, wenn es nicht gerade durch den Wald geht. So sind die meisten ziemlich froh, an der Radlseehütte erstmal alles abwerfen und sich setzen zu können und ich staune über ein paar Menschen, die sich echt quälen mussten, dass sie durchgehalten haben. Die Aussicht auf einen super Flug motiviert wohl. Unterwegs hat Astrid einem Piloten ein bisschen von seinem Krempel abgenommen und einen ihrer Wanderstöcke weitergereicht, weil gerade mit so viel Gewicht ist was zum Abstützen sehr hilfreich.
Nach einer ausgedehnten Mittagsrast macht sich unser Grüppchen geschlossen auf den Weiterweg über den über der Hütte gelegenen Grat zum Gipfel, der bereits zu sehen ist und wo für die Veranstaltung reichlich Gipfelfotos mit allen Teilnehmenden geschossen werden. Der aus unserer Perspektive bisher sehr steile, felsige Gipfelaufbau, von ich mich schon fragte, wo genau Frau da starten soll, fällt nach Süden über mehrere etwas flacher geneigte Wiesen ab, so wie unser Guide Stefan das bereits erläuterte. Es gibt reichlich Platz zum Fertigmachen und Auslegen. Auf dem Weg nach oben kam erneut die Frage auf, ab welcher Höhe es spätestens ratsam ist, sich auf den Weg zurück zu machen und Stefan meinte, ab 2000m sei es ganz entspannt. Till, ein Nova Teampilot, warf daraufhin ein, wer den Doubleskin von Nova fliegt, solle sich bereits ab 2200m auf den Rückweg begeben und weil dieses Modell am ehesten mit unseren Pi3 vergleichbar ist, war für mich klar, dass ich quasi direkt nach dem Start gar keine Faxen machen darf, sondern schnurstracks in Richtung Landeplatz abbiegen muss, der vom Startplatz aus nicht zu sehen war. Es gab allerdings mit der Ploseseilbahn und ein paar anderen markanten Punkten genügend Orientierungsmöglichkeiten. Astrid sah das genauso. Die meisten Pilot:innen sind zwar unmittelbar nach dem Start in Thermiken weiter aufgedreht und auch mich hat’s kurz nach dem Start gehoben, doch ich wollte kein Risiko eingehen. Stefan hatte 2-3 Außenlandungsmöglichkeiten weiter unten im Tal genannt, doch auf meinem ersten echten Streckenflug gab es für mich keine Alternative als am richtigen Landeplatz anzukommen. Mit klopfendem Herzen zog ich auf, startete ganz fein, wurde nach dem erwähnten Heber kurz wankelmütig, ob ich nicht doch versuchen soll, weiter hoch zu kommen, aber dann war der Verstand sofort wieder da, der mich daran erinnerte, wie knapp die Kiste werden könnte. Also bog ich wie geplant sofort in Richtung Landeplatz ab. Hinter mir kam Astrid ebenfalls super raus, wurde von der ersten Thermik etwas angehoben, hängte sich dann aber an meine Fersen und als wir am Grat vorbei waren, der uns die Sicht auf die gegenüberliegende Seite versperrte, gab es zumindest darüber keine Zweifel mehr, wo ich hin muss. Orientierung: Check.
Ich fliege von meinem Startberg weg, die relative Höhe zum Boden nimmt zu, leider bemerke ich schnell, dass meine Annahme bezüglich der Gleitfähigkeiten meines Pi3 ziemlich falsch war. Mein Variometer zeigt Werte zwischen 6,3 und maximal 7,5 an, je nach dem, durch welche Windschichten ich so fliege, was wesentlich weniger ist, als ich von wo auch immer bis dahin abgespeichert hatte. Das macht mich nervös, wo sind die Außenlandemöglichkeiten, von denen Stefan erzählte? Ich kann keine der genannten von oben erkennen. Es gibt einen Zustand beim Gleitschirmfliegen, der sich geringstes Sinken nennt. Ihn erreicht Frau durch ganz leichtes, gleichseitiges Anbremsen, was ich sofort versuche, bewusst umzusetzen, das Variometer im Auge behaltend, ob sich an meiner Gleitzahl irgendetwas verändert. Ähm…. Nein, tut es nicht. Den tiefsten Punkt, den ich überfliegen muss, den Eisack, habe ich noch lange nicht erreicht, während ich zusehen muss, wie meine absolute Höhe stetig weiter abnimmt. Erneut halte ich Ausschau nach den alternativen Landemöglichkeiten, um für den schlimmsten Fall Plan B bereit zu haben, finde aber weiterhin nix. Naja, noch ist alles gut. Ich erreiche die Brennerautobahn, überfliege endlich den Fluss an den sich die Stadt Brixen anschließt, über die ich mit mehr als einem Kilometer Höhe drüber fliege. Als ich so das Zentrum überquerte, wusste mein Bauch plötzlich, dass die verbleibende Höhe ganz gut genügen wird, um sicher den geplanten Landeplatz zu erreichen. Wie auch immer er das herausgefunden hat. Ab da konnte ich mich dann tatsächlich etwas entspannen und schön den Kurs haltend auch mal um mich herumschauen, in was für einer wahnsinns Umgebung ich gerade unterwegs bin. Geradeaus über den Landeplatz hinweg, wie gestern, die Dolomiten mit Pleitlerkofel, den Geißlerspitzen, dem Langkofel, nach Norden gab’s einen etwas diesigen Blick auf den Alpenhauptkamm, von dem die Brennerstraße herunterzog, in Richtung Süden konnte Frau den Gardasee erahnen. Dazu die Erkenntnis, dass ich meinen ersten echten Talsprung mit der Plastiktüte über mir schaffen werde. Das ist abgefahren. Eine neue persönliche Maximalhöhe über Grund wurde es zwar nicht, doch ich werde mich ab jetzt jedes Mal spätestens dann daran erinnern, wenn ich auf der Brennerautobahn unterwegs bin. Da bin ich schonmal drüber geflogen.
Der Boden unter mir kommt schon bald näher, ich erreiche die Ortsgrenzen von St. Andrä. Ich hatte gehofft, dass dort noch ein wenig Hangwindfliegen gehen könnte, doch das war leider nicht so und damit war klar, dass ich unmittelbar landen gehen muss. Quatschi schaltet sich ein: Denk an deine Erfahrungen von gestern, gibt es Talwind, wie stark ist er und wenn du es nicht weißt, finde es heraus, indem du mal mit und mal gegen den Wind fliegst und aufpasst, wann du schneller bis. Alles klar. Hab‘ ich. So, jetzt, aufgepasst, ich erinnere mich an gestern, Landevolte ist keine gute Idee, der Talwind weht mit mindestens 15km/h aus Süd. Ich bin noch hoch genug, um über den Bäumen am Nordrand des Landeplatzes eine Acht zu fliegen bevor ich mich in einer weiteren Acht über die Wiese bringe und relativ schnell in den Endanflug übergehe, weil ich noch viel Platz nach vorne hab und deutlich spüre, wie mich der Gegenwind jetzt bremst und ich irgendwann quasi ohne große Vorwärtsfahrt auf den Boden sinke. Es ist etwas thermisch über dem Landeplatz, es hebt mich ein-, zweimal an, Nerven behalten, keine Überreaktionen, einfach mit mehr oder weniger offener Bremse gleiten lassen, damit Spielraum fürs sanfte Abfangen bleibt. Der Moment kommt und ich setze als erste butterweich auf, gehe noch ein, zwei Schritte und lege die Kappe ab. Meine Birne platzt fast vor Glück und ein bisschen Stolz, diese kleine fliegerische Herausforderung geschafft zu haben. Erfahrene Streckenpiloten werden möglicherweise mindestens etwas schmunzeln, doch für mich war das eine Herkulesaufgabe mit reichlich Bauchkribbeln, weil ich nicht bzw. erst sehr spät wusste, wie es enden wird.
Direkt hinter mir kommt Astrid eingeflogen und landet ebenfalls bilderbuchmäßig mit einem Grinsen im Gesicht von einem Ohr zum anderen. Wir fallen uns ganz hibbelig in die Arme und sind uns einig, dass dies einer der krassesten Flüge bisher gewesen ist. Objektiv betrachtet ist nicht viel passiert. Wir sind gestartet, flogen knapp 10km geradeaus und sind gelandet. C’est tout. Aber was das mit uns gemacht hat, ist der absolute Wahnsinn. Für Astrid war es gleichzeitig der Flug mit der größten Höhe bisher über Grund, was schon erwähnenswert ist, wenn Frau mit etwa 1,2 Kilometer Höhe über Brixen fliegt und nichts außer einem superdünnen Dyneemagewebe dazwischen ist. Wir sind jedenfalls völlig geflasht. Und ganz alleine auf dem Landeplatz. Bis der/die nächste zum Landen kommt, vergeht einige Zeit und wir beschließen, dass es genau richtig passt, um ein wenig mit dem Schirm am Boden zu üben, Groundhandling. Insbesondere ist uns über den Sommer die Routine und die Sicherheit fürs Rückwärtsaufziehen Abhanden gekommen, weil wir es nicht brauchten und nicht so wahnsinnig viel geflogen sind. Eine gute Gelegenheit, sie wieder einzufangen.

Für diesen Samstagabend steht auf dem Programm, dass sich die Teilnehmenden in der Pizzeria direkt an der Talstation der Seilbahn für gemeinsames Essen und Quatschen treffen. Dazwischen entscheiden einige, nachdem sie den Talsprung geschafft hatten (bis auf einen, der sogar noch auf der anderen Seite landen „musste“), nochmal mit der Bahn zur Plose raufzufahren, um noch einen Flug heute zu machen. Darunter waren leider auch Leute, die ihr Auto noch auf der anderen Seite stehen hatten, wo heute Vormittag der Aufstieg zur Königsangerspitze begann. Astrid hatte sich morgens schon bereit erklärt, zum Zurückholen der Autos zu shuttlen. Schwierig nur, wenn sich das Feld so auseinandergezogen hat. Als wir fertig gekämmt und gestriegelt zum vereinbarten Zeitpunkt in der Pizzeria aufschlugen, waren andere, besagte Menschen noch in der Luft. Sie werden sich schon melden. Wir brauchen was zu essen. Hier haben wir endlich auch Gelegenheit, einigermaßen in Ruhe mit Vera zu babbeln, die bereits mit einigen anderen am reservierten Tisch sitzt. Gerade als wir bestellt hatten, bricht Astrid nach einer Nachricht vom Landeplatz nochmal auf, sammelt 4 Typen ein und auch jenen, der sein Auto noch auf der anderen Talseite stehen hat, aber wenigstens hat er es nicht eilig und ist d’accord damit, dass das auch später noch geht, bevor Astrids Pizza, die zwischenzeitlich den Weg an ihren Platz gefunden hat, ganz kalt werden muss. Energie tut gut, die Pizzen sind wirklich lecker, die Lebensgeister kommen zurück. Die Gespräche am Tisch sind etwas gemischt, ist eben auch ein recht gemischtes Volk, doch wenn man so ist wie ich, die sich sehr schwer damit tut, sich mit Menschen zu unterhalten, deren Themen mich entweder nicht interessieren oder so weit entfernt von meiner Realität sind, dass ich eigentlich gar nicht mitreden kann, wird’s a bisserl zäh. Als dann Astrid auch noch aufbrechen muss, um das fehlende Auto zurück zu holen und für mindestens eine Stunde weg sein wird, stirbt meine Kommunikationsfähigkeit nahezu vollständig. Ein paar Dinge haben wir mit Vera besprochen, doch sie ist natürlich ein wenig eingespannt und muss sich überall mal zeigen. Momente in denen ich mich frage, was ich an solchen Orten soll? Insbesondere, wenn mir wildfremde Menschen von ihren psychischen und physischen Problemen erzählen und ich alle Blutwerte aufgezählt bekomme, bei denen irgendetwas nicht zu stimmen scheint. Also ja, ich bin ebenfalls nicht mehr ganz neu und es quietscht und zwickt überall und ich kämpfe seit Jahren mit Habgier und Rachsucht manch anderer Menschen, aber hey, damit mag ich mir den Abend nicht versauen nach diesem sensationellen Flug über das Eisacktal. Immerhin gibt es noch ein Thema, dass mich interessieren muss: Was machen wir am nächsten Tag? Ab spätestens Mittag soll in Südtirol Nordföhn einsetzen, was fürs Fliegen dort eher das K.O. ist. Es gäbe zwar schon einige Startplätze weiter südlich, die möglicherweise gingen, so manch vermeintlich erfahrene Piloten, doch das ist mir zu vage und meine schnelle Recherche in der BurnairApp sagt mir, dass das für mich keine Option ist. Zu weit weg, zu beschwerlich hinzukommen, zu unsicher, ob fliegen wirklich geht, denn Föhn ist einfach lebensgefährlich, zumal die meisten genannten Alternativen um die 2000m hoch liegen.
Irgendjemand wirft in den Ring, dass es schlau wäre, bei Nordföhn in Südtirol einfach auf die Nordseite des Alpenhauptkammes überzusetzen. Leuchtet ein. In Neustift Im Stubaital am Elfer sei ein Gleitschirm-Event. Mist, ich wusste, dass ein Haken an der Sache ist. Doch die Wahrscheinlichkeit, dort fliegen zu können, ist hoch, es liegt für uns auf dem Heimweg und wir müssen nicht um 5Uhr morgens starten, um dorthin zu kommen. Als Astrid nach einer gefühlten Ewigkeit zurück ist, committen wir uns fürs Stubaital am nächsten Tag und dann schauen wir einfach, wie es ist. Jetzt möchte ich einfach nur noch ins Bettchen.

Der Brötchenservice am nächsten Morgen funktioniert, wir können einigermaßen entspannt in den Tag starten, die meisten Sachen sind bereits zusammengepackt. Wir zahlen und verabschieden uns bei unserem Vermieter, dann geht’s auf die Straße. Schon fast im Tal angekommen, klingelt das Telefon. Der Vermieter ist dran, ob wir vielleicht ein Kopfkissen vergessen hätten? Z’fix, ja. Haben wir. Das muss seit einiger Zeit mit, weil wir so viel schlechte Erfahrungen mit FeWos gemacht haben und ein Kopfkissen über Stress oder Erholung entscheiden kann. Umdrehen, zurück die Serpentine rauf, Kissen holen. Aber jetzt. Ab über den Brenner zurück nach Österreich. Es ist Rückreiseverkehr und ich bekomme schon wieder die Krise, weil es die Italiener, die Franzosen und einige andere Bananenrepubliken im 21. Jahrhundert nicht schaffen, sich endlich von den blöden Mautstellen zu verabschieden. Nein, wir stellen uns für 1,50€ eine halbe Stunde in den Stau in Sterzing. Ist mir absolut unbegreiflich. Im Sommer als wir zum Barre des Écrins gefahren sind, ist mir das bereits schlimm auf die Nerven gegangen. Durchschnittlich alle 15km in eine Schlange stellen, 1,20€ zahlen, dann erst geht’s wieder für eine Hand voll Kilometer weiter. Naja, wenigstens haben wir die Brenner-Maut via Videokontrolle gebucht. Wird aber noch lustiger, denn die Abfahrt ins Stubaital ist vom Pass kommend gesperrt und weil die Umleitung so gut ausgeschildert ist, nehmen wir irgendeine der nächsten Ausfahrten, um umzudrehen. Was folgt beim Versuch, wieder nach Süden auf die Autobahn drauf zu fahren: eine Mautstelle, bei der wir davon ausgehen müssen, dass die Brenner-Maut erneut fällig wird. Glücklicherweise müssen wir das nicht tun, die Schranke öffnet sich für uns, ohne dass wir schon wieder was berappen müssen. Immerhin. Zurück über die Europabrücke nehmen wir die Abfahrt nach Neustift und was kommt dann, richtig, eine Mautstelle, bevor es ins Stubaital geht. Ist irgendwie schon irre. Früher dachte ich immer, die Schweizer Autobahnvignette sei teuer. Aber hey, im Vergleich zum Aufwand, den die Schweizer in ihre Autobahnen stecken müssen, ist das wohl das Günstigste, was Frau in der Schweiz kaufen kann. Und da kosten die Tunnel, Brücken und jede Pumpelhuberabfahrt nichts extra im Gegensatz zu Österreich. Wo ich grad dabei bin, und die Frage kam auch im Auto auf, warum die Bananenrepublik Deutschland es als nahezu einziges europäisches Land, nicht schafft, eine PKW-Maut einzuführen und stattdessen auch noch Strafe zahlen muss, weil der Versuch, jene auf die Beine zu bringen, sensationell schief geht? Genug aufgeregt.
Neue Zweifel machen sich breit, als wir uns Neustift nähern und sich am Himmel gefühlt hunderte Gleitschirme zeigen. Der Ort platzt aus allen Nähten, Parkplätze gibt’s nur noch außerhalb mit Glück auf Supermarktparkplätzen. Eigentlich hab‘ ich schon gar keine Lust mehr auszusteigen, doch jetzt sind wir schonmal da, also wackeln wir mal vor zur Bahn und schauen, wer es noch bis hierher geschafft hat. Ein kleines Grüppchen des Testivals ist übrig. Einige wenige wollen den Aufstieg zu Fuß bewältigen, was für Astrid und mich jedoch ausscheidet. Wenn wir nochmal fliegen wollen, machen wir das mit Bahnunterstützung, damit es hinten raus nicht so spät wird und bevor es nach oben geht, was ich für mich noch nicht beantwortet habe, sehen wir uns auf jeden Fall erst den Landeplatz an. Es gibt eine kleine Einweisung von einem Teilnehmer, der sich hier auskennt und die Info, wenn wir bis zum allerobersten Startplatz gehen, wird es zumindest zum Starten nicht so voll sein, weil das nur wenige tun. Also gut. Dann Ticket kaufen und rauf. Ab der Bergstation steigen wir nochmal etwa eine dreiviertel Stunde auf bis wir die Elferhütte erreichen. Ein Großes Plakat wirbt: Das Hüttenpaar macht den Job seit 50 Jahren. Unsere beiden Begleiter wollen hier was trinken, ok, kurze Pause, doch als Astrid und ich unsere Trinkflaschen aus dem Rucksack ziehen, kommt sofort der giftspeiende Hüttenwart angeschossen, dass wir das hier nicht tun dürfen. Ach, doch so freundlich. Ich verzehre hier heute und im Rest meines Lebens nichts mehr. Ob’s hier doch noch ein Kaffee werden soll, hat der nette Herr beantwortet. Danke.
Irgendwie steht dieser Tag unter keinem guten Stern, denke ich. Der Himmel füllt sich weiter. In der Tat ist es so, dass fast alle Pilot:innen den nächstmöglichen Startplatz ab der Bergstation ansteuern und etwas oberhalb der Hütte nur wenige starten. Nachdem der Verzehr abgeschlossen ist, geht’s weiter. In wenigen Minuten erreichen wir unseren Startplatz. Eine steile aber langgezogene Wiese, es weht etwas von vorne, sieht nicht so schlecht aus. Aufgeregt bin ich trotzdem, weil es etwas böig ist und eigentlich rückwärtsaufziehen angesagt wäre, doch ich blende das zunächst aus. Bis ich fertig bin mit meinen Startvorbereitungen, kann es schon wieder anders aussehen. Wir treffen Hajo aus der Gruppe, der sich den Weg hinauf gemacht hat. Der ist nett. Hilft nochmal beim Auslegen. Als ich dann los kann, entscheide ich mich für einen Vorwärtsstart, weil der Wind gerade etwas nachgelassen hat. Läuft auch gut, ich fliege raus. Ganz so voll, wie befürchtet, ist die Luft dann doch nicht, weil es sich im dreidimensionalen Raum einigermaßen verteilt. Ich merke, dass die Luft an einigen Stellen trägt und ich nicht so schnell sinke. Über der Bergstation, wo nicht ganz so viel Betrieb ist, kann ich mich trotz einiger Versuche nicht halten, doch etwas weiter unten schon. Der Aufwind am Hang hält mich und ich schaffe es sogar, wieder zu steigen. Auch Astrid gelingt das und wir begegnen uns beim Hin- und Herfliegen im Hang immer wieder. Mal ist sie über mir, mal bin ich über ihr. Die vielen anderen um uns herum stressen mich nicht so, wie ich befürchtet hatte, denn es geht einigermaßen diszipliniert zu, geltende Regeln fürs Hangfliegen werden ganz gut eingehalten und dann funktioniert es auch. Macht dann schon Spaß und ich bin froh, dass ich mich fürs Fliegen entschieden habe. Als ich merke, dass ich mich nicht mehr halten kann und der Raum überm Landeplatz einigermaßen leer ist, entscheide ich mich dazu, landen zu gehen, biege aus dem Hang ab, fliege ins freie Tal über Neustift und behalte mir im Gedächtnis, nicht taleinwärts über den Ort zu fliegen, denn dann habe ich mit meinem langsamen Schirm ein Problem, zurück zum Landeplatz zu kommen. Also schön am Ortseingang bleiben, bisschen Kurven fliegen, die Zeit genießen und langsam Höhe abbauen bis ich seitlich in den Landeplatz direkt in den Endanflug driften kann. Landen mit etwas Gegenwind ist, wie weiter oben schon geschrieben, im Prinzip ganz was Feines und der Aufsetzpunkt besser zu steuern als bei Nullwind. Als ich den Fuß ins Gras setze, habe ich meinen bis dahin drittlängsten Flug ever mit fast 40 Minuten gehabt, was ich so überhaupt nicht geplant bzw. erwartet hatte und mich überaus freut, weil es trotz ein paar Widrigkeiten einfach ein superschöner Flug gewesen ist, bei dem alles gepasst hat. Astrid kommt kurz nach mir ebenfalls eingeflogen. Sie war noch ein bisschen länger in der Luft. Die anderen aus der Gruppe, die mit uns vom oberen Startplatz losgemacht haben, trudeln auch alle ein, wir quatschen noch ein wenig während wir einpacken, tauschen noch die eine oder andere Telefonnummer aus bevor wir uns verabschieden und uns auf den Heimweg machen.

Damit geht ein sehr spannendes, lehrreiches und superschönes Flugwochenende zu Ende, bei dem wir 3 neue Startgelände kennenlernen durften, einen gigantischen Talsprung gemacht haben und am Ende einen der längsten Flüge in unserer bisherigen Karriere schafften, sowohl was die Distanz als auch die Zeit angeht. Mit Vera werden wir weiter in Kontakt bleiben und dann sehen wir, ob sich eine gemeinsame Hochtour, vielleicht mit Runterfliegen, ausgeht. Das wäre das i-Tüpfelchen.


Einige der hier veröffentlichten Bilder stammen von Till Gottbrath oder Vera Polaschegg, NOVA Teampilot:in. Sie sind entsprechend markiert.

bottom of page